Kapitel 9:   panische Angst

Natürlich meine ich nicht die panische Angst im wortwörtlichen Sinn, Angst die Besitz von einem ergreift, einen lähmt und blockiert. Nein, diese Angst meine ich zum Glück nicht. Es ist eher die Angst vor Fehlern. Und nein, nicht vor meinen Fehlern, ich mache keine. Und wenn Du mir nicht glaubst, dann frag doch alle hier! Ich meine, die Fehler, die Gäste machen können, und die mir dann die panische Angst einjagen.

Ja, ich weiß, Du willst mal wieder ein Beispiel. Also gut, hier ist eins: Wir haben bei uns im Hotel ab und an ein paar Reisegruppen. Du weißt schon, 7 Staaten in 4 Tagen oder auch 10 Städte in 3 Stunden. So ist es nun mal, da kann man nichts machen. Die Welt ist in Eile und niemand nimmt sich mehr die Zeit. Aber darum geht es jetzt nicht.

Wir sind ein Hotel, welches schon ein klein wenig Wert auf guten Service legt. So wecken wir die Gäste auch nicht per Weckautomat, also vom Band. Nein, wir wecken noch persönlich. Da wird angerufen, auch wenn eine ganze Gruppe von 30 Zimmern geweckt werden will, alles persönlich. Und wenn dann etwas später die Gäste am Empfang vorbei kommen und mit einem reden, dann kommt es oft vor: "ach Sie haben uns so lieb geweckt, vielen Dank.". Naja, ich spreche ja auch kein Dialekt.

Wie dem auch sei, manche Gäste einer Gruppe lassen sich ganz gerne auch außerhalb der Gruppe wecken und stehen eben gerne etwas eher auf. So auch bei einer Dame mittleren gebotoxten Alters. Ich rief sie also zur gewünschten Zeit an, keine Reaktion. Kurz gewartet, wieder angerufen, wieder keine Reaktion. Und da vielleicht das Telefon kaputt sein kann, oder es ausgestöpselt wurde, was auch immer, gehen wir zum Zimmer, klopfen sehr leise, dann lauter werdend, bis der Gast wach ist, sich meldet, die Tür auf macht. Und so stand dann die Gebotoxte vor mir und ich sagte nur noch, daß es ihr Weckruf wäre.

Knapp eine Stunde später, ich stehe am Empfang und sehe einfach nur schön aus, kommt sie (Du erinnerst Dich sicher an die Ohoven) zu mir und meckert rum, daß sie nicht geweckt wurde. Und hier kam schon panische Angst auf. Denn nichts ist schlimmer als einen Weckruf zu verpassen und der Gast verpasst dadurch vielleicht einen Flug. Also es gibt ja kein Recht auf Weckruf, und selbst wenn der bestellte Weckruf nicht erfolgt, kann der Gast keine Kompensation verlangen. Weil ... ist ja ein kostenfreies Angebot und wenn es nicht klappt, dann isses eben Pech. Aber egal, sie meckerte rum. Doch wer mich kennt weiß, daß ich eine sehr eloquente nette Art habe, dem Gast einfach mal in seine Schranken zu weisen. du weißt schon, ich habe mehrmals angerufen und sie dann an der Tür geweckt, und sie sah mich ja, da sie mir die Tür geöffnet hat. Und ob Du es glaubst oder nicht, sie drehte ab und wollte vor Peinlichkeit im Boden versinken. Aber hee, wer bin ich, daß ich da urteile.

Und neulich erst, da hatten wir eine Reisegruppe aus Südamerika. Chile, Argentinien und Paraguay. Und beim check out, da kamen sie nun alle, gaben ihre Schlüssel zurück, bedankten sich und so Zeugs. Und wenn man freundlich "buenos dias" sagt, und auch freundlich fragt "que tal", dann muß man sich echt nicht wundern, daß einem dann Maschinengewehrmäßig geantwortet wird. Du weißt schon, kleiner Finger = ganze Hand. Klappt auch ganz gut in anderen Sprachen.

Plötzlich steht ein Mann vor mir, spricht gebrochenes Deutsch, erzählt, daß er in Rendsburg geboren wurde aber seit über 70 Jahren in Argentinien wohnt, damals mit seinen Eltern nach Südamerika ausgewandert ist. Und singt ein kleines deutsches Volkslied. Sagt dann auch noch, daß er noch die ganz alten deutschen Volkslieder kennt, und bei mir macht sich nun echt panische Angst breit, weil er ankündigt, diese auch zum Besten zu geben. Was kommt denn jetzt? Er wohnt seit 70 Jahren dort drüben ... dies kann doch nur bedeuten ... meine panische Angst wuchs und wuchs ... "das Wandern ist des Müller Lust ...", "hoch auf dem gelben Wagen" ... .

Und mir fielen Gesteinsbrocken von der Brust. Diese panische Angst, dieser lähmende Druck auf der Brust. Und dann sind es zum Glück tatsächlich nur die alten deutschen Volkslieder.

Herr Jens

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