Kapitel 1:   zierlich aggressiv

Es gibt verschiedene Arten von Menschen in einem Beruf. Einmal die Theoretiker, die wirklich alles wissen und dieses in der Back Office Arbeit wunderbar anwenden können. Revenue? Kein Thema. Yield Management. Na sicher doch. Bestellungen, Dienstpläne. Überhaupt kein Problem. Es ist toll, wenn man so jemanden im Team hat.

Es gibt aber auch die Praktiker. Die machen selbst die größte Panne zu einem Erfolg. Weil sie es dem Gast verkaufen können, dass es ein Erfolg ist. Sie lächeln, sie sind präsent, sie zeigen Einsatz und sie können tagelang arbeiten und man sieht ihnen nicht an, dass sie eventuell angepisst sind. Solche Menschen braucht man direkt am Gast, unbezahlbar.

Ich könnte schon jetzt auf das Thema Bezahlung kommen. Aber seien wir ehrlich, es sollte hier schon etwas lustiger zugehen als beim Blick auf den Kontoauszug. Wobei, Tränen kann es einem schon in die Augen treiben. Nur eben nicht Tränen der Freude. Wer im Hotelbusiness arbeitet, gearbeitet hat, wird wissen was ich meine.

Doch kommen wir zurück zu den Menschen. Es gibt auch einen Mix aus beiden, aber eher selten. Manchmal kommt es jedoch vor, und ich könnte ein Lied davon singen, mache ich aber nicht, ich schreibe es lieber auf, also manchmal kommt es vor, dass die Theoretiker eben auch den Job des Praktikers einnehmen müssen. Personalplanung hin oder her, in dieser Branche gibt es permanent Personalmangel, was aber auch an der Bezahlung liegen kann, Ich dreh mich gerade im Kreis.

Ich hatte mal eine Kollegin, eine tolle Theoretikerin, Front Office Managerin mit langjährigen Erfahrungen in London, Tokio, auch schon in Hamburg. Top Ausbildung inklusive Studium. Erste Sahne. Sie war eher klein, kleiner als ich (170cm), sehr zierlich. Leise Stimme. Ruhig und zurückhaltend. Und sie musste am Empfang kurzfristig mitarbeiten. Zu dieser Zeit wurde gerade das Hotel in dem ich nun schon seit 15 Jahren arbeite, umgebaut. Die Hotelhalle komplett ausgeschlachtet bis auf die Grundmauern. Somit war es sehr schmutzig/staubig, natürlich laut und auch sehr kalt. Kein gutes Umfeld um einen guten Job zu machen. Aber wie gesagt, die Praktiker machen es zu einem Erfolg und verkaufen dem Gast die Vision der zukünftigen Hotelhalle als Wohlfühloase und laden den Gast ein auch beim nächsten Hamburgaufenthalt in unserem Hotel zu wohnen. Wunderbar.

Die kleine zierliche Front Office Managerin stand also am Counter für den check out bereit. Kurzer Schnack, das Update der Nacht und die Highlights des Tages. Kommt ein Ehepaar aus Wolkenkuckkucksheim zum check out und die Kollegin mühte sich die einfachsten Dinge runterzurasseln: wie geht es ihnen, wie haben sie geschlafen, war alles zu ihrer zufriedenheit? Und so weiter. Hier ja auch immer die Chance schon mal Kritik und vielleicht vorhandene Mängel aufzunehmen. Und sie hatte damit so ihre Defizite. Egal, sie las den Gästen vom PC Bildschirm ihre gebuchten Leistungen auf: „sie hatten 3 mal Logis und 3 mal Frühstück.“. Das Ehepaar sah sich an und antworte: „also Logis hatten wir nicht.“. Wieder die Kollegin: „sie hatten 3 mal Logis und 3 mal Frühstück.“. Woran es scheiterte, ich weiß es nicht, vielleicht am Wort Logis, aber wieder kam die Antwort, dass sie keine Logis hatten.

Nun, jedeR andere hätte den Gästen eine Brücke gebaut, gesagt was Logis bedeutet, denn nicht jedeR ist mit den Begriffen in der Back Office Arbeit vertraut. Aber nein, nicht so meine Kollegin: „sie hatten 3 mal Logis und 3 mal Frühstück.“. Natürlich, ich hätte spätestens hier eingreifen können, aber wer konnte es denn voraussehen? Das Ehepaar war jetzt, ich wiederhole mich, es war zugig kalt, laut und staubig, sichtlich überfordert und wiederholte nur, dass sie keine Logis hatten. Und meine Kollegin drehte frei, brüllte über den Empfangstresen, welchen sie beinahe nicht überblicken konnte, die Gäste an: „na dass sie hier übernachten haben, sie dumme Kuh!“. Bääääm.

Es war nicht das erste Mal, auch nicht das letzte Mal, dass ich während ich mit ihr zusammen arbeitete ins Keyboard meines PC gebissen habe. Was sollte ich denn machen? Herzhaft losbrüllen vor lachen? Natürlich nicht. Die Gäste jedenfalls hätten jetzt alles gezahlt was man ihnen aufgezählt hätte, sie wollten nur noch weg. Und wer hätte es ihnen verübeln können. Und ich mag mich täuschen, aber als Gast waren sie nie wieder bei uns im Hotel.

Dies sollte nicht die einzige Art von Gastkontakt gewesen sein, in der die Theoretikerin im praktischen Probleme hatte. Auch ein Beispiel hierfür sei gesagt, dass wir die Gäste nach dem Bezahlen dann immer fragen, ob sie ihren Kreditkartenbeleg mit an die Rechnung geheftet haben wollen. An und für sich sicher kein großer Akt. Sicher. Weil die Kollegin aber eben neben ihrer zierlichen Figur auch noch eine leise Stimme hat, kam es auch hier zum Biss ins Keyboard. Fragte sie nämlich einen Gast beim check out nach dem Zusammenheften, antwortet er nicht. Okay. Kurz danach fragte er, nett und höflich, ob sie ihm denn die Zettel nicht zusammenheften könne, da nahm sie den ca. 900g schweren Tacker, knallte ihn auf den Tresen, drehte sich um und verließ den Front Office Bereich.

Ganz ehrlich, was sind es für Kollegen, wo ich dann als der nette junge Herr gelte?

Herr Jens

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